Relevante Begriffe der Barrierefreiheit.
1. Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)
Das BFSG ist die deutsche Umsetzung der Europäischen Richtlinie zum barrierefreien Zugang zu Produkten und Dienstleistungen (European Accessibility Act). Ab Juni 2025 müssen Unternehmen bestimmte digitale Inhalte, Websites, Software und Dienstleistungen so bereitstellen, dass sie für Menschen mit Behinderungen ohne zusätzliche Erschwernisse nutzbar sind. Ziel ist eine umfassende Teilhabe aller Menschen am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben.
2. Barrierefreiheit Definition
Barrierefreiheit bedeutet, dass Produkte, Dienste und Umgebungen so gestaltet sind, dass sie von allen Menschen – unabhängig von ihren körperlichen, sensorischen oder kognitiven Fähigkeiten – genutzt werden können. Im digitalen Kontext umfasst das unter anderem Web-Design, Dokumente, Apps und multimediale Inhalte. Das BFSG fordert eine konsequente Umsetzung von Barrierefreiheit, sodass niemand vom Zugang zu Informationen ausgeschlossen ist.
3. WCAG (Web Content Accessibility Guidelines)
Die Web Content Accessibility Guidelines werden vom World Wide Web Consortium (W3C) entwickelt und sind international anerkannte Richtlinien für barrierefreie Webinhalte. Sie gliedern sich in die vier Prinzipien Wahrnehmbar, Bedienbar, Verständlich und Robust. Unternehmen, die dem BFSG unterliegen, orientieren sich oft an den WCAG 2.1 oder 2.2 auf Konformitätsstufe AA, um rechtskonform zu handeln.
4. BITV 2.0 (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung)
In Deutschland regelt die BITV 2.0 (aktualisiert durch weitere Gesetzgebung) die Anforderungen an barrierefreie Informationstechnik für öffentliche Stellen. Auch für privatwirtschaftliche Unternehmen und Online-Händler werden Teile dieser Vorgaben durch das BFSG relevant. Die BITV 2.0 baut zum großen Teil auf den WCAG auf und definiert konkrete Anforderungen, etwa zum Farbkontrast oder zur Tastaturnavigation.
5. WAI-ARIA (Web Accessibility Initiative – Accessible Rich Internet Applications)
WAI-ARIA ist ein Satz von Attributen, der entwickelt wurde, um interaktive und dynamische Webanwendungen (z.B. Menüs, Dialogfenster, Akkordeons) für assistive Technologien verständlich zu machen. Beispielsweise können Screenreader durch ARIA-Attribute erkennen, ob ein Element expandiert, ausgewählt oder deaktiviert ist. Dies ist entscheidend, um komplexe Webseiten und Web-Apps konform zum BFSG zu gestalten.
6. Alt-Text (Alternativtext)
Ein Alt-Text beschreibt den Inhalt eines Bildes, wenn dieses nicht sichtbar oder technisch nicht ladbar ist. Screenreader lesen den Alt-Text vor, damit sehbehinderte oder blinde Personen den Bildinhalt erfassen können. Gemäß WCAG und BFSG sind Alternativtexte bei allen relevanten Bildern verpflichtend, um Informationen nicht ausschließlich visuell zu vermitteln.
7. Screenreader
Ein Screenreader ist eine Software, die Bildschirmtexte vorliest oder in Brailleschrift übersetzt. Menschen mit Sehbehinderungen oder Blindheit nutzen Screenreader, um Webseiten, Dokumente und Apps zu bedienen. Damit alle Inhalte erfasst werden können, müssen die Seiten semantisch korrekt aufgebaut (z.B. Überschriftenhierarchien, Listen, korrekte ARIA-Rollen) und Bedienelemente eindeutig benannt sein.
8. Untertitel (Captions)
Untertitel machen gesprochene Inhalte von Videos, Präsentationen oder Web-Konferenzen zugänglich, indem sie das Gesagte in Textform abbilden. Sie können zusätzlich Geräusche, Musik oder Hinweise zu Tonlage und Kontext enthalten, um umfassende Informationen für hörbehinderte oder gehörlose Personen bereitzustellen. Das BFSG fordert, dass audiovisuelle Inhalte nach Möglichkeit entsprechende Untertitel oder alternative Darstellungen bereitstellen.
9. Closed Captions vs. Open Captions
- Closed Captions sind vom Zuschauer ein- und ausschaltbar (z.B. in YouTube oder Mediatheken). Sie ermöglichen individuelle Nutzungspräferenzen.
- Open Captions sind fest in das Video eingebettet und lassen sich nicht deaktivieren. Diese Variante wird oft in öffentlichen Bereichen oder Social-Media-Clips eingesetzt, um direkt und dauerhaft barrierefreie Informationen zu liefern.
10. Audiodeskription
Audiodeskription ist eine zusätzliche Tonspur, in der visuelle Inhalte (z.B. Szenenwechsel, Mimik, Handlungen) sprachlich beschrieben werden. Insbesondere blinde und sehbehinderte Menschen können auf diese Weise besser folgen. Für Unternehmen, die Videomaterial bereitstellen und dem BFSG unterliegen, kann Audiodeskription notwendig sein, sofern wichtige Informationen ausschließlich visuell vermittelt werden.
11. Transkription
Bei einer Transkription wird gesprochener Inhalt (aus Videos, Podcasts, Telefonkonferenzen) in einen schriftlichen Text übertragen. Sie unterstützt Menschen mit Hörbehinderung dabei, Inhalte nachzulesen, und trägt zudem zu besserer Durchsuchbarkeit (z.B. SEO) bei. Das BFSG empfiehlt, für jede relevante Audioveröffentlichung eine Transkription bereitzustellen, sofern Untertitel oder Live-Captions nicht bereits alles abdecken.
12. Live Captions (Live-Untertitelung)
Live-Untertitel sind Untertitel, die in Echtzeit erstellt werden, beispielsweise bei Web-Streams, virtuellen Meetings oder Live-Veranstaltungen. Zum Einsatz kommen hier menschliche Schreibkräfte (Respeaker, Schriftdolmetscher) oder automatisierte Spracherkennungssysteme. Live Captions sind laut BFSG von Bedeutung, wenn Unternehmen Live-Veranstaltungen (z.B. Produktpräsentationen) auch hörbehinderten Menschen zugänglich machen müssen.
13. Leichte Sprache
Die Leichte Sprache soll Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder geringen Sprachkenntnissen das Verstehen von Texten erleichtern. Sie benutzt kurze Sätze, wenige Nebensätze und leicht verständliche Wörter. Laut BFSG und ergänzender Regelungen kann es erforderlich sein, wesentliche Informationen (z.B. Vertragsbedingungen, Anleitungen) auch in Leichter Sprache anzubieten.
14. Tastaturnavigation
Tastaturnavigation bedeutet, dass sämtliche interaktive Elemente einer Website (Links, Buttons, Formulare) ohne Maus nur über Tastenkombinationen oder die Tab-Taste erreichbar sind. Dies ist für Menschen mit motorischen Einschränkungen, aber auch für Screenreader-Nutzer*innen essenziell. Das BFSG verlangt, dass Unternehmen sicherstellen, dass Bedienelemente eine klare Fokusreihenfolge aufweisen und sich durch Drücken von Tab & Co. sinnvoll ansteuern lassen.
15. Fokusindikator
Ein gut sichtbarer Fokusindikator (z.B. ein farbiger Rahmen oder eine deutliche Hervorhebung) zeigt an, welches Element aktuell per Tastatur fokussiert ist. Dies ist entscheidend für Personen, die nicht mit der Maus, sondern über die Tastatur navigieren. In vielen Standards (WCAG, BITV 2.0) wird gefordert, dass der Fokusindikator jederzeit klar erkennbar bleibt.
16. Skip Links (Überspringen-Links)
Ein Skip Link ist ein unsichtbarer oder wenig aufdringlicher Link am Seitenanfang, mit dem Nutzer*innen direkt zum Hauptinhalt springen können. Dies verhindert, dass sie sich durch endlose Menüs und Banner navigieren müssen. Skip Links sind für Tastaturnavigation und Screenreader-Nutzer*innen eine große Erleichterung und daher relevant für die Erfüllung der BFSG-Anforderungen.
17. Semantisches HTML
Semantisches HTML bezeichnet die Verwendung von aussagekräftigen HTML-Tags (\<header\>, \<nav\>, \<main\>, \<section\>, \<article\>) anstelle von rein optischen. Screenreader und andere Assistive Technologien können so die Struktur einer Webseite besser erfassen und wiedergeben. Unternehmen, die dem BFSG unterliegen, sollten auf valide HTML5-Strukturen achten, um Barrieren zu vermeiden.
18. Kontrastverhältnis
Menschen mit Sehbehinderung oder Farbenfehlsichtigkeit benötigen einen hohen Kontrast zwischen Text und Hintergrund. Die WCAG und BITV 2.0 legen Mindestkontrastwerte (z.B. 4,5:1 für normalen Fließtext) fest. Auch das BFSG verweist indirekt auf diese Normen. Eine regelmäßige Überprüfung per Contrast-Checker stellt sicher, dass der Text für alle gut lesbar ist.
19. Responsives Design
Responsives Design passt das Layout einer Website dynamisch an verschiedene Bildschirmgrößen (Smartphones, Tablets, Desktops) an. In Verbindung mit Barrierefreiheit bedeutet das, dass auch auf kleineren Bildschirmen alle Funktionen bedienbar sind und Texte lesbar bleiben. Das BFSG enthält zwar keine explizite Responsive-Design-Vorgabe, jedoch ist eine flexible Bedienbarkeit auf allen Endgeräten Teil einer umfassenden Barrierefreiheit.
20. Barrierefreie PDFs
Die Barrierefreiheit von PDF-Dokumenten ist oft eine Herausforderung, da PDFs semantisch ausgezeichnet werden müssen (Tags für Überschriften, Listen, Tabellen, Alternativtexte für Grafiken). Gemäß BFSG muss nicht nur die Website selbst, sondern auch verlinkte Dokumentation (z.B. Produktbroschüren, Bedienungsanleitungen) barrierefrei zugänglich sein. Dies erfordert ein konsequentes Vorgehen in der Dokumentenbearbeitung.
21. Automatische vs. manuelle Untertitelung
- Automatische Untertitelung nutzt Spracherkennung und generiert Transkriptionen in Echtzeit. Dies ist oft fehleranfälliger, eignet sich aber für schnelle Lösungen.
- Manuelle Untertitelung oder die Nachbearbeitung des automatischen Skripts liefert höhere Genauigkeit und bessere Übereinstimmung mit der Tonspur. Für das BFSG empfiehlt sich eine qualitätsgesicherte Untertitelung, damit Nutzer*innen nicht mit unverständlichen Textzeilen konfrontiert werden.
22. Gebärdensprache (DGS)
Die Deutsche Gebärdensprache (DGS) ist eine eigenständige visuelle Sprache mit eigener Grammatik und Wortschatz. Für bestimmte Inhalte (z.B. wichtige Servicemeldungen, Erklärvideos) oder Nutzergruppen kann es laut BFSG erforderlich sein, Videos in Gebärdensprache zu produzieren oder entsprechende Dolmetscher*innen einzubinden, um den Zugang für gehörlose Menschen zu gewährleisten.
23. Audiodeskriptiver Text (AD-Text)
Im Gegensatz zur gesprochenen Audiodeskription können wichtige visuelle Informationen (z.B. Diagramme, Infografiken) auch durch AD-Text beschrieben werden. Dieser Text wird von Screenreader-Nutzer*innen vorgelesen. Betriebe, die komplexe Visualisierungen im Web verwenden, sollten diese zugänglich machen, indem sie Alternativbeschreibungen und ggf. separate AD-Texte bereitstellen.
24. Live-Events und Streaming
Viele Unternehmen nutzen Live-Events (z.B. Webinare, Konferenzen) oder streamen Produktvorstellungen. Mit Inkrafttreten des BFSG im Juni 2025 müssen grundlegende Barrierefreiheitsanforderungen erfüllt sein, darunter Live-Untertitel, Gebärdensprache (je nach Zielgruppe) und eine leicht zugängliche Plattform (klare Navigation, Tastaturbedienung). Andernfalls können Sanktionen oder Image-Schäden drohen.
25. Testverfahren und Monitoring
Zur Überprüfung der Barrierefreiheit bieten sich automatisierte Tests (z.B. Wave, axe) und manuelle Prüfungen (Screenreader-Tests, Tastaturnavigation, Nutzerfeedback) an. Das BFSG sieht vor, dass Unternehmen ihre digitalen Inhalte fortlaufend evaluieren und bei Mängeln nachbessern. Je nach Größe und Branche des Unternehmens kann ein internes oder externes Monitoring erforderlich sein.
26. Rechtsfolgen und Sanktionen
Ab Juni 2025 drohen laut BFSG bei Nichteinhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen Bußgelder oder andere rechtliche Konsequenzen. Darüber hinaus leidet das Markenimage, wenn Nutzer*innen mit Behinderungen ausgeschlossen werden. Frühzeitige Planung und Umsetzung der vorgeschriebenen Richtlinien sind daher nicht nur ein Gebot der Gesetzgebung, sondern auch ein Wettbewerbsvorteil.
Fazit
Unternehmen, die ab Juni 2025 den Vorgaben des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) unterliegen, sollten sich intensiv mit den oben genannten Begriffen auseinandersetzen. Sie bilden das Fundament einer durchdachten Accessibility-Strategie, welche nicht nur rechtliche Vorgaben erfüllt, sondern auch die Zielgruppe erweitert, Kundenzufriedenheit erhöht und das Firmenimage stärkt.